Das Schreibseminar.

Besser Lesen

Ein Gärtner betrachtet einen Baum mit anderen Augen als ein Affe. Wer sich bemüht, besser zu schreiben, liest Texte anders. An dieser Stelle sammle ich Textbeispiele. Manche zur Abschreckung, manche als Vorbild geeignet. Manche einfach nur unterhaltsam.

Auto-Correct ist ein benevolenter Türann.

7. November 2024

Jeder kann von komischen oder peinlichen Einmischung der Auto-Correct Funktion beim Schreiben berichten. Das Problem ist, dass man beim Durchlesen ganz leicht übersieht, was keine Korrektur sondern eine Korruption des Textes ist. Will man sichergehen, gibt es eine einfach Methode: Auto-Correct ausschalten und den fertigen Text mithilfe der Rechtschreibprüfung verbessern. Damit entfällt allerdings die Bequemlichkeit, die mit der automatischen Korrektur einhergeht: die korrekte Vervollständigungen von langen Wörtern durch Maschinentelepathie und die sofortige Richtigstellung von Wörtern mit widerspenstiger Orthographie.

Der Beispieltext aus der „Presse“ zeigt, wie schnell aus einem Sieg eine Niederlage wird, nur weil er in den Niederlanden errungen wurde. Salzburg hat gewonnen, die Niederlage wurde durch Auto-Correct erlitten.

Muttersprache zum Muttertag.

30. April 2024

Küchengeräte waren einst sehr beliebt als Muttertagsgeschenk.  Sowie: Selbstgebasteltes.  Wenn Mutter schon alle handlichen elektrischen Geräte besitzt und man nicht selbst Hand anlegen möchte, könnte ratlose Verzweiflung ihr tückisches Haupt heben. Aber halt! Wie wäre es mit einem Buch? Zum Beispiel ein Buch, in dem sich Kleinode unserer Muttersprache versammelt finden. Das „Lexikon der schönen Wörter” der Herren Kaehlbrandt (vermutlich ein Künstlername) und Krämer sollte in jedem bürgerlichen Regal Aufnahme finden. Verlegt von Piper in der bereits fünften Auflage, um unter 15 Euro käuflich, unbezahlbar bereichernd. Allerdings fehlt eines meiner Lieblingswörter: die Augenweide. Was eine Überlegenheit des südöstlichen Sprachraumes erneut vermuten lässt.

Zeitreisende Landeshauptfrau.

10. April 2024

Eichgraben ist aus vielen Gründen eine der weltbesten Gemeinden. Unter anderem gibt die Gemeindeführung eine der weltbesten Gemeindezeitungen heraus. Wer dieses Medium nicht regelmäßig studiert, dem*der ist vielleicht eine Nachricht über ein Ereignis entgangen, das die Welt oder zumindest Niederösterreich verändern könnte.

Im Zuge eines Experimentes wurde eine Zeitkapsel mit einer ganz normalen Politikerin befüllt. Wir wurden nicht darüber informiert, für wie lange Frau Mikl-Leitner in der Zeitkapsel bleiben wird und in welchem Zustand – ungealtert, wenig gealtert, gereift – sie sich dann entkapseln wird. Wir hoffen das Beste und vor allem auf weitere Berichte.

Grausamer Fehlschuss.

10. April 2024

Knapp daneben ist auch verfehlt. Darüber könnten ehrliche Weidmänner viel erzählen. Ein Abc-Schütze der ORF Online Redaktion hat der Sprache in einem Bericht über zwei abgetrennte Hirschköpfe einen Streifschuss verpasst. Dort heißt es, ein Jäger hätte eine „grausame Entdeckung … gemacht”. Gemeint war wohl eine grausige Entdeckung. Gerade die deutsche Sprache ist grausam zu Schreibern, denen die Hand beim Zielen auf das richtige Wort zittert.

Mehr Schreiblust.

10. April 2024

Schreibseminar in der Walddenke, Februar 2024

Wie geht es bei meinen Schreibseminaren zu? Einen guten Eindruck davon vermittelt ein kurzes Video, das Alexander Pagitz im Februar 2024 in der Walddenke an der Rax aufgenommen hat.

Mehr Information über den Sehnsuchtsort Walddenke auf walddenke.at

Wortschatzsucher.

10. April 2024

Der größte Reichtum des sprachbegabten Menschenaffen ist sein Wortschatz. Besonders reich sind Englischsprachige, sie verfügen theoretisch über 750.000 Wörtern. Das Deutsche umfasst je nach Zählung 350.000 bis 500.000 Wörter. Nicht alle kennt jeder. Aber den meisten von uns ist klar, dass unser passiver Wortschatz größer ist, als unser aktiver.

Der passive Wortschatz ist wie Geld unter der Matratze. Er wirft keine Zinsen in unserem Alltagsleben ab. Zum Glück werden wir gelegentlich von Literatur, Film, Funk und sogar von Tageszeitungen und Magazinen an sprachliche Goldstücke unter unseren Matratzen erinnert. Wir können sie hervorholen und unsere Alltagssprache glänzend und interessant gestalten. Es ist nicht notwendig, sich freiwillig auf die aktuellen Modewörter zu beschränken.

Für „Die Presse“ schreibt Erich Kocina über Interessantes am Rande der Nachrichtendurchfahrtsstraßen. In manchen seiner Kolumnen kann man Wortfundstücke entdecken, dem Dunkel des passiven Wortschatzes entreißen und sich damit selbst eine Freude machen. Außerdem kann man dank Herrn Kocina herausfinden, warum „mundtot“ nichts mit dem Essloch zu tun hat.

Schreiblust in der Walddenke.

29. November 2023

Seminar 23. bis 25. November 2023

An einem zauberhaften Ort hat unser Fest der Schreibkunst und -freude stattgefunden. Die Walddenke in Breitenstein an der Rax ist die perfekte Werkstatt für Schreibhandwerker. Die Teilnehmer waren Mitarbeiter von zwei Agenturen aus Wien. Sie haben zweieinhalb Tage in diesem eleganten Haus im Wald an ihrem Stil gefeilt und für ihr Denken neue Impulse bekommen. Ihre Lust am Schreiben hat sich wunderbar entfaltet. Danke euch allen für eure engagierte Teilnahme.

Interessiert an der Walddenke als Seminarort? Schreiben Sie bitte eine Nachricht an Thomas Plötzeneder.

Weil ich keine Gelegenheit versäumen will, um auf Beispiele von ge- und misslungener Schreibe anzubieten: hier eine Geschichte aus dem „Spiegel“. In der Sportberichterstattung sind Schlagzeilen mit Wortspielen besonders beliebt. In diesem Fall bitte sowohl die Schlagzeile als auch die Bildüberschrift zu beachten.

Tschendern – ein Rat vom Rat.

16. Juli 2023

An Stammtischen platzen Halsschlagadern, volksverbundene Politiker zetern mit überschlagender Stimme, in Schulklassen schwanken Kruzifixe, allerorts fürchten funktionale Analphabeten um die Reinheit der Sprache. Was ist passiert?

Der Rat für deutsche Rechtschreibung fasst einen Beschluss zum Thema „Gendern“. Das diskussionsfreudige Gremium empfiehlt das Gendern nicht. Es rät auch nicht davon ab. Es versucht nur Fragen im Umgang mit Sonderzeichen – auch solche, die variantenreich zum Gendern eingesetzt werden (können) – zu beantworten. Der Rat will den staatlichen Stellen vorschlagen, das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung um den Abschnitt Sonderzeichen zu ergänzen.

Ein Interview im Spiegel dazu ist erhellend. Außerdem heute extra ein Literaturtipp

Bibelkunde.

28. Juni 2023

Kürzlich, bei der Lektüre einer sehr empfehlenswerten Website, bleibe ich bei folgendem Satz hängen:

„This made me dig deeper into my weird lattice window fetish and so I found the book, no, the bible of lattice window designs.“

Ein Referenzwerk, zu welchem Thema auch immer, wird gerne als Bibel bezeichnet. So gibt es die erwähnte Bibel der chinesischen Gitterformen, die Bibel der japanischen Strickmuster, die Bibel für Golfspieler, die Bibel der Abnehmrezepte, und so fort. Dazu habe ich Fragen: Können Nicht-Christen eine „Bibel der japanischen Strickmuster“ tatsächlich als maßgebliches Werk akzeptieren? Oder nährt die Bezeichnung „Bibel der Abnehmrezepte“ selbst bei Christen Zweifel über die korrekte Interpretation der Texte als Ausdruck des Willens der Götter der Verschlankung? Welche Bezeichnung von Referenzwerken würden Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten, Taoisten, Marxisten und Solispisten bevorzugen? So denke ich halt und kann nicht anders. Bis diese Fragen endgültig geklärt sind, ist es wohl angemessen, dicke Schwarten mit Anspruch als Standardwerke als Bibeln zu bezeichnen. Sie haben wahrscheinlich allesamt weniger unbeabsichtigte Nebenwirkungen als das Vorbild.

Quantensprung in Kernkraft-Forschung.

28. Juni 2023

Ein Österreicher zeigt auf neue Wege in der fast friedlichen Nutzung der Kernkraft. Der ORF berichtet am 27. Juni 2023 über einen Durchbruch in der Nuklearphysik. Ein Golfprofi – niemand wird zweifeln, dass Golf ein elementares Feld der Physik beschleunigter Teilchen darstellt – gelang offensichtlich die Synthese aus nuklearer Spaltung und Fusion. Die Schlagzeile „Wiesberger in Sachen Fusion gespalten“ ist ein Kleinkunstwerk. Sonst interessiert die Geschichte eher wenig. 

PS: Später wurde die Überschrift „Wiesberger in Sachen Fusion gespalten“ leider in „… zwiegespalten“  verschlechtert.

Nachrichten aus der Streichelredaktion.

26. Juni 2023

Dieser Artikel aus dem Standard ist zu schön, um wahr zu sein. An dieser Stelle hebe ich sonst gerne einzelne sprachliche Entgleisungen hervor. Der Standard, dessen Gründung wir in Österreich viel verdanken (unter anderem eine viel bessere „Presse“), hat im Februar eine Schweinemastreportage veröffentlicht. In dieser findet eine Massenkarambolage von Sprachbildern statt, von der wir unseren sensationsgeilen Blick nicht leicht lösen können. Ich empfehle die vollständige Lektüre dieses Stilgemetzels. Hier wurde wirklich vieles gut gemeint.

Vorlesung.

23. Juni 2023

Richtige Briefe – solche, die auf Papier geschrieben oder gedruckt den Empfänger in einem frankierten Kuvert erreichen – haben mehr Gewicht als die flüchtigen Pixel der elektronischen Post. Solche Briefe verdienen ein Extra an Bemühung.Vielleicht tauchen sie eines Tages in einem bedeutenden Nachlass auf. Oder sie werden von Schauspielern vorgelesen. Wie der Brief von Justin Lee aus Auckland an die Polizei, die ihm ein Vergehen vorwirft, das aufgrund der uns bekannten physikalischen Gesetze gar nicht begehbar ist. Vorgelesen wird uns dieser Brief vom neuseeländischen Regisseur und Schauspieler Taika Waititi. Wer bekommt danach nicht selbst Lust, einen Brief nicht nur mit Tinte sondern auch mit Esprit zu schreiben?

Schreckliche Geschichte.

22. Juni 2023

Schreckliche Schüsse stoppten Flüchtenden? War er erschrocken? Oder doch eher gewarnt, dass es jetzt ernst wird. Wahrscheinlich waren es Warnschüsse, die ins lockere Erdreich abgegeben wurden, bevor zugreifende Körperkraft dem Schrecken ein vorläufiges Ende bereitet haben. Das ganze Drama im Original hier.

Unbedingt.

22. Juni 2023

Schlampiges Schreiben ist unangenehm, aber nicht tragisch.  Hier geht es um einen Online-Artikel, der von einem tragischen Vorfall und von dessen Folgen handelt. Das Gerichtsurteil ist im Text nur bedingt richtig wiedergegeben. Nicht tragisch, aber verwirrend. Auch nüchtern betrachtet.

Wenn etwas leicht zu lesen ist.

22. Juni 2023

Elke Heidenreich beschäftigt sich im Spiegel regelmäßig mit Bestsellern. Das ist nicht automatisch schändlich. Einem Beitrag hat sie eine Schlagzeile gewidmet, die das Motto meines Seminars sein könnte: Wenn etwas leicht zu lesen ist, dann war es schwer zu schreiben.  Den Beitrag findet man hier.

Eine Geiselnahme.

27. April 2023

Heute lade ich zu einem kurzen Video ein. Die brillante Beurteilung eines Forschungsberichtes.

„Lose the very“ – eine Anleitung zum Gewinnen.

27. April 2023

Eine sehr gute Website mit sehr guten Vorschlägen wie man sehr viel besser schreiben kann. „Lose the very macht Vorschläge, wie man „very“ vor einem Adjektiv durch ein anderes Adjektiv, in dem „very“ bereits enthalten ist, ersetzen kann.  

Besonders hilfreich, weil man für Zusammensetzungen wie „sehr alt“ nicht einfach Synonyme nachschlagen kann. Gibt es das auf Deutsch? Bitte um sachdienliche Hinweise!

Elegante Härte von Siegmund Freud.

27. April 2023

Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal liefert Hauke Goos vom Spiegel ein Beispiel für schönstes Schreiben. Siegmund Freud zückt nicht die Feder, sondern ein Sprachmesser, um die Freundschaft mit C. G. Junk zu beenden.  

Sprache tröstet; Sprache verletzt. Wer nachhaltig verletzen will, sollte schreiben,“ schreibt Hauke Goos in dem Artikel über den Freud’schen Brief

Demenzfreundliche Region.

27. April 2023

Oft bin ich mir sicher, manchmal nicht. Ist es gut, wenn eine Region demenzfreundlich ist? Mountainbike-freundliche Regionen laden zum Radeln ein. Wird der Wienerwald nun angepriesen als Region, in der dementen Personen freundlich begegnet wird (was auch ein bisschen schwach ist) oder als Landesteil, in dem es besonders leicht ist, dement zu werden.  

Natürlich verstehe ich die gute Absicht hinter dem Bemühen. Ein bisschen mehr Bemühung hätte aber auch die Wahl des Begriffes verdient.  

So schreibt ein Mann, der ein Pferd umarmt.

23. April 2023

„Schöner Schreiben“ heißt die Kolumne, die Hauke Goos im Spiegel verfasst. Er präsentiert darin wunderbare Beispiel großer Sprachbeherrschung. Dabei erfüllt Herr Goos auch die Forderung, die vom Titel der Kolumne gestellt wird indem er selbst sehr schön schreibt. Hier zum Beispiel ein Artikel über einen Brief Nietzsches an den dänischen Philosophen Georg Brandes.

Glanzlichter der deutschen Sprache verspricht ein Buch, in dem Hauke Goos 50 seiner Kolumnen zusammengefasst hat. An die Teilnehmer meines nächsten Seminars verschenke ich das Buch, weil schöner schreiben kommt von besser lesen.

Deutlich pulverisiert.

22. April 2023

Schreiber für Medien, die ein breites Publikum ansprechen, fühlen sich wohl täglich zum Sprachspektakel genötigt. Ein Kleinod an Zerstörungskraft, die in diesem Fall gegen einen Rekord gerichtet ist, will ich euch nicht vorenthalten. 

Der Text erschien am 31. August 2022 unter anderem in der Kronen Zeitung und der Kleinen Zeitung.  Der energische Schreiber hat vermutlich für eine Nachrichtenagentur gewirkt.